Buchhandlung Spazierer

Suche

Tage im AugustOverlay E-Book Reader

Tage im August

Dacia Maraini

E-Book (EPUB)
2024 Folio Verlag
Auflage: 1. Auflage
240 Seiten
ISBN: 978-3-99037-153-4

Rezension verfassen

€ 17,99

in den Warenkorb
  • EPUB sofort downloaden
    Downloads sind nur in Österreich möglich!
  • Als Hardcover erhältlich
Kurztext / Annotation
Die Sonne brennt unbarmherzig, heiß sind die Tage am Meer. Auf Anna wartet die lang ersehnte Freiheit. Es ist Sommer 1943. Endlich holt der Vater die Vierzehnjährige und ihren jüngeren Bruder aus dem Nonneninternat ab, um die Ferien in einem Badeort in der Nähe von Rom zu verbringen. Anna ist hungrig nach Welt, sie will wissen, wie Liebe wirklich geht. Während das Dröhnen der Jagdbomber am Himmel die schläfrige Stille der Tage durchbricht, lernt sie in der Badeanstalt Savoia die gierigen Blicke junger wie alter Männer kennen und macht ihre ersten sexuellen Erfahrungen. Anna will das Unbekannte erfahren ... Die Kunst der großen Autorin, über das zu schreiben, worüber andere schweigen. Lakonisch, verstörend, das Romandebüt der größten lebenden Schriftstellerin Italiens.

Dacia Maraini, eine der wichtigsten Stimmen Italiens sowie feministische Pionierin. Geboren 1936 in Fiesole, aufgewachsen in Japan und Sizilien. Aufgrund der antifaschistischen Haltung des Vaters in einem japanischen Gefangenenlager interniert, frühe Erfahrung von Hunger. Sie war eine der Ersten, die über Gewalt an Frauen schrieb, begründete experimentelle Theater und reiste mit P. P. Pasolini für Filmprojekte nach Afrika, schrieb Drehbücher u. a. für Margarethe von Trotta. Bei Folio erschienen zuletzt: 'Die stumme Herzogin' (2020), 'Trio' (2021).

Beschreibung für Leser
Unterstützte Lesegerätegruppen: PC/MAC/eReader/Tablet

1

Wir rannten die Treppe hinab und den langen Flur entlang, ohne auf eine der Schwestern zu treffen. Es herrschte Mittagsruhe. Die Fensterläden waren geschlossen, man konnte kaum etwas sehen.

Die alte Nonne an der Pforte öffnete uns die Tür und brummelte: "Wenn sie hier rausgehen, weiß man nie, wie sie wieder zurückkehren." Seit ich im Internat war, hatte ich sie immer so in ihrer Loge sitzen sehen, schwerfällig, in schwarzer Schürze und zerschlissenem rosa Schultertuch.

"Ihr wollt ans Meer?", fragte sie und funkelte uns missgünstig an. "Passt auf, dass ihr euch nicht verkühlt", fuhr sie fort, während sie uns hinausließ. Dann schlug sie die Tür zu.

Mumuri wartete draußen schon auf uns. Er saß rittlings auf seinem Motorrad.

"Da seid ihr ja." Er lächelte zufrieden. "Los, steigt auf", sagte er und reichte uns eine Hand.

Wir kletterten auf das Motorrad, Giovanni vorne und ich hinten. Das Köfferchen befestigte er, so gut es ging, neben dem Hinterrad und ich legte ein Bein darauf ab.

"Auf geht's!", sagte Papa heiter, die Füße gegen den Boden gestemmt, um das Motorrad im Gleichgewicht zu halten. Wahrscheinlich stand eine der Schwestern am Fenster, aber wir blickten weiter zu Boden und taten so, als hätten wir sie vergessen. "Bereit? Sitzt ihr gut?", fragte er, richtete seine Baskenmütze und umfasste den Lenker.

Ruckartig fuhr das Motorrad an, es beschleunigte und wir legten uns in die Kurve. Giovanni war aufgeregt und klammerte sich zitternd am Lenker fest, ich hatte meine Arme von hinten um den muskulösen Körper meines Vaters gelegt und fühlte mich mit seiner Freude und seinem Selbstvertrauen verbunden. Die Passanten und die wenigen Autos nahm ich gar nicht richtig wahr. Ich schob den Kopf vor, um mir den Wind ins Gesicht wehen zu lassen, und widerstand dem Drang, mir die Haare aus den Augen zu streichen.

Mumuri fuhr sicher, dabei plauderte er munter.

"Ich wette, ihr seid noch nie Motorrad gefahren", stellte er lachend fest. Ohne eine Antwort abzuwarten, fuhr er fort: "Du hast Angst, Giovannino, gib es ruhig zu. Ein Dreikäsehoch wie du hat Angst."

Giovanni schüttelte den Kopf, ohne den Griff zu lockern, seine Hände waren schon ganz blau vor Anstrengung.

"Und wie geht's dir, Anna?" Mumuri drehte sich ein wenig zu mir um, ich konnte sein sonnengebräuntes Gesicht erkennen, das hier und da von langen tiefen Falten durchschnitten war, die getönte Brille saß auf seiner breiten Nase. "Du hättest gerne ein Eis, nicht wahr? Wie blass du bist, meine Kleine. Du wirst sehen, das Meer wird dir guttun. Wenn du zurückkommst, werden die Schwestern dich kaum wiedererkennen."

Ich blickte zurück und dachte an das Internat, das hinter uns lag und auf uns warten würde. Die Schwestern mit ihren mit Haarnadeln am Kopf befestigten langen Schleiern, die klimpernden Rosenkränze. Für Mumuri war alles einfach: Jetzt nahm er uns mit in die Ferien ans Meer, hinterher würde er uns mit dem gleichen klapprigen Motorrad und dem gleichen unbekümmerten Gesichtsausdruck wieder zum fünf Meter hohen Eingangstor zurückbringen. Ich schlang die Arme fester um die breite muskulöse Taille meines Vaters, der sich besorgt umsah. "Du willst ein Eis, oder?" Er zwinkerte mir zu. "Wir sind fast da."

Wir hielten vor einer Eisdiele an der Ecke eines Dorfplatzes. Auf dem Bürgersteig lag eine zerdrückte Eiswaffel. Darüber schwirrte ein Schwarm Fliegen. Eine Katze schnupperte daran und trottete dann weiter. Giovanni wollte nicht absteigen und Mumuri machte sich über ihn lustig. Er zog sich die hellen Lederhandschuhe aus und ich dehnte die schmerzenden Beine.

"Der Wind brennt ganz schön", sagte Giovanni und betastete seine geröteten Wangen.

"Die Sonne brennt", verbesserte ihn Papa und schob den Perlenvorhang vor dem Eingang der Eisdiele beiseite.

Mumuri bestellte zwei Eis zu fünf Lire, Pistazie und Torrone. Giovanni hielt seine