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Kinder der GewaltOverlay E-Book Reader

Kinder der Gewalt

Ein Porträt Russlands in fünf Verbrechen | Julian Hans

E-Book (EPUB)
2024 Verlag C.h.beck
Auflage: 1. Auflage
253 Seiten
ISBN: 978-3-406-81040-4

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Kurztext / Annotation
Woher kommt die ungeheuere Brutalität, mit der die russischen Soldaten in der Ukraine morden, plündern und vergewaltigen? Warum wehren sich so wenige Russen gegen den Krieg? Julian Hans, der langjährige Moskau-Korrespondent der Süddeutschen Zeitung, macht anhand von fünf spektakulären Verbrechen sichtbar, wie sich Gewalt und Erniedrigung in das Leben der Menschen gefressen haben. Wer verstehen will, wie die russische Gesellschaft tickt, findet hier seismographisch-genaue Antworten. Auch wenn Putin irgendwann nicht mehr im Kreml sitzt - die russische Gesellschaft tritt nicht ab. Menschen, die ihr Leben lang erniedrigt wurden und daher schnell bereit sind, andere zu erniedrigen. Menschen, die nie erfahren haben, dass ihr eigenes Leben geschützt und geachtet wird, und die deshalb schwer Achtung und Mitgefühl für andere entwickeln können. Menschen, die gelernt haben, dass es keine Wahrheit gibt, die nicht morgen in ihr Gegenteil verkehrt werden kann. Diese Buch nähert sich dem Zusammenspiel von Angst, Gewalt und Lüge in Russland am Beispiel von fünf Kriminalfällen - eine brutale Bande terrorisiert eine Kleinstadt, jugendliche Polizistenmörder werden zu Volkshelden, drei Schwestern töten ihren tyrannischen Vater, ein Enkel klagt die Henker seines Urgroßvaters an, ein Folteropfer überwindet den Hass. Dabei zeigt sich auch, welche Kräfte helfen könnten, die über Generationen geprägten Muster der Gewalt zu überwinden.

Julian Hans war viele Jahre Moskau-Korrespondent der Süddeutschen Zeitung. Er lebt als freier Journalist in München.

Beschreibung für Leser
Unterstützte Lesegerätegruppen: PC/MAC/eReader/Tablet

Einleitung

Wer die Gewalt zu seiner Methode macht,
muss die Lüge zu seinem Prinzip erwählen.

Alexander Solschenizyn, Nobelpreisrede 1970

Zwanzig Jahre lang hält eine Bande rücksichtsloser Gewalttäter eine Kleinstadt in Russlands Süden im Griff. Sie raubt den Bauern ihr Land, missbraucht die Mädchen, kauft die Polizisten. Gegner werden getötet, Hilferufe nicht gehört. Die Anführer des Clans sitzen als Abgeordnete im Parlament, ihre Firmen erhalten Millionen aus der Staatskasse. Erst als in einer Nacht zwölf Menschen brutal ermordet werden, darunter vier Kinder, schreckt das Land auf und die Öffentlichkeit fragt sich: Wie konnte das Verbrechen so mächtig werden? Und warum haben die Menschen diese Tyrannei so lange geduldet? Viele in Russland erkennen Parallelen: Die Angst im Alltag, die Willkür der Polizei, die manipulierte Justiz, die Verbindung zwischen den Staatsorganen, der Wirtschaft und der organisierten Kriminalität gibt es auf allen Ebenen im ganzen Land bis in den Kreml. Und die Fragen, warum die Menschen das mit sich machen lassen und warum es nicht mehr Widerstand gab, betreffen die ganze Gesellschaft.

Seit dem 24. Februar 2022 stellen sich diese Fragen noch dringlicher. Unter dem Eindruck von Russlands Überfall auf die Ukraine und der Gräueltaten seiner Soldaten versuchen wir zu begreifen, warum diese Gesellschaft so bereitwillig in diesen Krieg zieht. Warum wehren sich nicht mehr Russinnen und Russen? Warum lassen sie sich scheinbar schicksalsergeben für einen Feldzug rekrutieren, dessen Sinn sie nicht wirklich verstehen? Warum zeigen so wenige Mitgefühl für ihre Verwandten in der Ukraine? Und warum fehlt ihnen scheinbar jede Wertschätzung für das Leben - das Leben anderer, aber auch das eigene? Am Beispiel von fünf Verbrechen schildert dieses Buch, wie Willkür, Gewalt, Machtmissbrauch und Lüge auf eine Gesellschaft wirken und welche Wege Menschen finden, darauf zu reagieren - mit Resignation, mit neuer Gewalt, aber auch mit Mut und Klugheit.

Die hier geschilderten Verbrechen haben die russische Gesellschaft bewegt, wurden aber bei uns kaum wahrgenommen. Die außenpolitische Berichterstattung konzentriert sich vor allem auf den Kreml, auf die Repressionen gegen die Opposition und auf russische Einmischungsversuche in seiner Nachbarschaft und anderswo - und hat damit oft schon mehr als genug zu tun. Warum lohnt sich ein Blick auf russische Kriminalfälle? In Russland wird wenig über Politik gesprochen. Seit Jahren antworten etwa drei Viertel der Befragten, sie interessierten sich nicht für Politik und wollten damit auf keinen Fall etwas zu tun haben. Gleichzeitig interessiert sich eine aufgeklärte Minderheit sehr für Politik: Die Anhänger von Alexej Nawalny, die Vertreter der inzwischen verbotenen Organisation Memorial, die Journalistinnen und Journalisten der unabhängigen Medien und ihre Zuschauer und Leser. Aus dieser aktiven, aber relativ kleinen Gruppe rekrutieren sich im Wesentlichen die Gesprächspartner internationaler Medien. Das ist keine Parteilichkeit, westliche Korrespondenten haben kaum eine andere Wahl: Wenn offizielle Stellen konsequent Lügen verbreiten und Tatsachen verdrehen, wenn untergeordnete Behörden schweigen, wenn Bürgermeister, Schuldirektorinnen und Wissenschaftler aus Angst nicht öffentlich reden wollen und die Mehrheit der Bevölkerung aus dem gleichen Grund sorgsam darauf achtet, erst gar nicht mit politischen Fragen in Berührung zu kommen, dann bleiben nur die wenigen Aufgeschlossenen und Engagierten, die natürlicherweise die Diktatur ablehnen, aber darin letztlich doch nicht für die Mehrheit sprechen können.

Es wurde in den vergangenen Jahren viel Energie darauf verwendet, Wladimir Putin zu verstehen, und viel Papier, um zu erklären, was der Führer im Kreml «wirklich will». Das war zweifellos notwendig, da sich viele auch in deutschen Parteien und bei Wirtschaftsver