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Die Frauen der Familie CarbonaroOverlay E-Book Reader

Die Frauen der Familie Carbonaro

Roman | Mario Giordano

E-Book (EPUB)
2024 Goldmann
512 Seiten
ISBN: 978-3-641-26102-3

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Kurztext / Annotation
Drei Frauen, drei Generationen, drei Schicksale - eine mitreißende Familiensaga von großer erzählerischer Wucht.
Pina will herrschen. Anna will singen. Maria will Hosen tragen.

Drei Frauen der deutsch-italienischen Familie Carbonaro erzählen ihre Geschichte: Sie erzählen von einem archaischen Sizilien Ende des 19. Jahrhunderts, vom Fluch ihrer Vorfahrinnen, von Wundern, Illusionen und kleinen Triumphen. Von Liebe und Gewalt, von schönen Schneidern, Scharlatanen und traurigen Gespenstern. Sie erzählen von Flughunden und Krähen, von Sizilien und Deutschland, von Heimat und Fremdsein, Bombennächten und Bienenstich - und davon, wie das Glück sie immer wieder fand. In einem gewaltigen Bilderbogen lässt Mario Giordano die bewegten Schicksale dreier Frauen erstehen, die unbeirrbar ihren Weg in ein selbstbestimmtes Leben verfolgen. Und er nimmt uns mit auf eine Reise von Sizilien nach Deutschland, die ein ganzes Jahrhundert umspannt.

Mario Giordano, geboren 1963 in München, ist Schriftsteller und Drehbuchautor. Seine Romane sind in über 15 Sprachen übersetzt worden, mit seinen »Tante Poldi«-Krimis stand er in Deutschland und den USA regelmäßig auf den Bestsellerlisten. Zudem verfasste er u.a. die Romanvorlage und das Drehbuch zu »Das Experiment« sowie Bilder- und Jugendbücher. Seine beiden Romane über die Familie Carbonaro basieren auf der Geschichte seiner eigenen Familie. Mario Giordano lebt in Berlin.



Beschreibung für Leser
Unterstützte Lesegerätegruppen: PC/MAC/eReader/Tablet

PINA CARBONARO

Giardini Naxos, Sizilien 1896

Von den dreiundzwanzig Kindern, die ich geboren habe, haben sechs überlebt, geliebt habe ich jedoch nur die anderen. Sie hießen Salvatore, Antonino, Maria, Rosaria oder Ignazio. Es waren Zyklopen darunter, fischschwänzige Sirenen, Faune, Elfen und durchscheinende Zwitterwesen wie ganz aus Milch und Nebel. Sie alle waren zu zart oder zu fremd für diese Welt. Nach einer Woche vergingen sie einfach, still und ohne Klage, als ob sie sich in der Tür geirrt hätten. Von ihnen blieben nur ihre Namen, denn immer, wenn ein Kind starb, gab ich dem nächsten seinen Namen. So haben wir es gehalten. Aber auch die Namen haben mir nicht helfen können, meine überlebenden Kinder zu lieben. Jedenfalls nicht so, wie eine Mutter ihre Kinder lieben sollte.

Seit ich zwölf bin, wollte ich Kinder, viele Kinder. Ein ganzes Volk wollte ich erschaffen, herausgekommen ist nur eine Familie. Mit zwölf Jahren war ich ein Kind ohne Kindheit. Ein Mädchen, das nie lachte und zwei Schatten warf. Denn wie alle Frauen der Familie Carbonaro bin auch ich eine Nachfahrin von Nymphen und Sirenen.

Als wir vor langer Zeit unsere umbrandeten Felsen und kristallenen Quellen verließen, um in die Hütten der Fischer und Schäfer einzuziehen, folgten wir dem Versprechen, dass sie uns zuhören würden. Und wurden betrogen, ein ums andere Mal. Was auch immer wir wollten, die Männer sagten: Du darfst nicht, du kannst nicht, glaub mir, du magst auch gar nicht. E basta. Von den Nymphen und Sirenen Siziliens blieb nichts als ein Schatten zurück, sichtbar nur für uns Frauen. Es ist der Schatten einer milchigen Zwischenwelt, nach der wir uns unser ganzes Leben lang zurücksehnen. Ein unaufdringlicher Begleiter, selten mehr als eine fahle Eintrübung, hingehaucht von einer sterbenden Sonne. Aber ausgestanzt vom Licht eines sizilianischen Augustnachmittags, erregt er Missfallen und Eifersucht bei den anderen Frauen.

Das Italien, in dem ich am Ende eines freudlosen Jahrhunderts aufwuchs, war ein rückständiges Bauernland. Während die entmachteten sizilianischen Fürsten in ihren Barockpalästen Karten spielten, verendete die Landbevölkerung wie Vieh an Hunger, Typhus, Malaria oder Cholera. Hunderttausende wanderten ab in den Norden oder gleich nach Amerika.

Von der Armut blieb ich selbst jedoch verschont. Ich wuchs in einer prächtigen Stadtvilla auf, die einst einer Adelsfamilie aus Giardini gehörte, bis mein Vater sie durch Betrug und Drohungen praktisch enteignet hatte. Mein Vater, das war der Dottore Passalacqua, jeder kannte ihn. Ein jovialer Mann mit einer angenehmen Stimme und bäuerlichen Pranken. Mit Wohlstandsbauch, Schnurrbart und kleinen Fuchsaugen, die niemals mitlachten. Ein Mann, der gerne tötete. Nach dem Risorgimento, als Italien die Adelsherrschaft abgeschüttelt hatte und sich zu einem unabhängigen Nationalstaat entwickelte, riss er sich Hektar um Hektar alles Land von Letojanni bis Fiumefreddo unter den Nagel. Gutes, fruchtbares Land, Zitronen-, Orangen- und Mandarinenhaine, so weit das Auge reichte. Mein Vater und seinesgleichen waren wie ein giftiges Harz, das aus den Brüchen quoll, die der Sturz des Adels hinterlassen hatte. Opportunisten, Glücksritter, Piraten, frei von Skrupeln, unersättlich. Der junge italienische Nationalstaat war ihr Feind, und regelmäßig ließen sie Leute verschwinden.

Ich war das einzige Kind des Dottore Passalacqua und bewunderte ihn grenzenlos. Ich liebte ihn mehr als meine Mutter. Ich schämte mich nicht dafür, denn papà war stark und mamma schwach. Selbst wenn er nur im Unterhemd vor dem Spiegel stand und sein Rasiermesser an einem Lederriemen wetzte, bewunderte ich ihn. Wie präzise er sich schabte, sich die Nase hielt und mir dabei vom Krieg erzählte, wie er zusammen mit den Garibaldisten die adeligen Blutsauger vertrieben hatte. »Zack, Kopf ab!«, schrie er und lachte. »Piff, paff, den Bar